Knapp eine Woche ist vergangen, seitdem Laura Gröll überraschend die Goldmedaille bei den Deutschen Hallenmeisterschaften im Hochsprung gewonnen hat: Noch nie – weder bei den Erwachsenen noch in der Jugend – stand sie ganz oben auf dem Treppchen bei einer nationalen Meisterschaft. Und dann auch noch mit einer Saisonbestleistung von 1,86 Meter.
Allein drei Tage habe sie gebraucht, um zu realisieren, was sie geleistet hat, so die frischgebackene Hallenmeisterin. Und natürlich möchte der bisher größte Erfolg ihrer jungen Karriere entsprechend gefeiert werden. Wie belohnt sich eine Hochspringerin, die für diesen Wettkampf von ihrem Maximalgewicht insgesamt knapp zehn Kilogramm (auf 64,5 Kilogramm) abgenommen hat, um in Topform springen zu können? Pizza-Essen mit der besten Freundin. Außerdem, so verrät die 21-jährige Athletin, wollten einige Leute mit ihr anstoßen: Die Trainingskameraden, die Kommilitonen aus dem Gesundheitswissenschaftsstudium, die Familie und Freunde – mit jedem sollte sie ein Gläschen auf den Titel trinken.
Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht. Laura Gröll ist eine überaus disziplinierte Athletin, die für ihren Erfolg hart trainiert – in der Regel sechsmal pro Woche. Ihr Ehrgeiz wurde ihr sogar schon einmal zum Verhängnis. Um ja keine Einheit zu verpassen, ignorierte sie Schmerzen im Fuß und gab niemandem Bescheid. Als Konsequenz trug sie einen Ermüdungsbruch davon. Diese Verletzung im Jahr 2018 warf sie in ihrem Karriereplan weit zurück. Ein Jahr zuvor überflog sie als Jugendliche bereits 1,88 Meter und galt als eines der hoffnungsvollsten Hochsprungtalente der Republik. Diese Höhe markiert seitdem ihre Bestleistung, selbst wenn die Versuche über 1,90 Meter in Leipzig vielversprechend aussahen.
Nach dem verletzungsbedingten Rückschlag ging es erst seit Sommer 2019 stetig aufwärts. Die Vorbereitung auf die Hallenmeisterschaften empfand sie als reibungslos. So verwundert es nicht, dass sie auf den Saisonhöhepunkt des Winters physisch wie psychisch ideal vorbereitet war: „Am Wettkampftag habe ich mich so wohl gefühlt wie noch nie.“ beschreibt sie ihre Gefühlslage. Dass dort mit Imke Onnen und Marie-Laurence Jungfleisch zwei Favoritinnen nicht am Start waren, hat nicht den Druck erhöht, sondern sie in dem Wissen bestärkt, dass eine Medaille möglich ist. Jeder, der Laura Grölls Jubel, ihren ungläubigen Blick und die Freudentränen nach dem geglückten Goldsprung in der mit knapp 4.000 Zuschauern ausverkauften Halle gesehen oder im TV bzw. Livestream verfolgt hat, konnte sich ein Bild davon machen, was der Titel für sie bedeutet.
Ein Grund für ihr enormes Sprungvermögen und ihre, für Hochspringer unabdingbare, gute Beweglichkeit dürfte in ihren Genen liegen. Ihr Vater, ein ehemaliger Dreispringer, brachte sie zur Leichtathletik. Auch die Mutter, die viele Jahre ambitioniert turnte, hatte positiven Einfluss auf die Leistungsentwicklung. Über ein Jahrzehnt war die 1,86 Meter große Sportlerin ebenfalls aktive Turnerin, bevor sie sich 2016 im Zuge der Abiturvorbereitung für die Leichtathletik entschied. Ihr damaliger Verein, die LG Eckental, bot ein vielseitiges Leichtathletiktraining an und legte den Grundstein für die beschriebenen Höhenflüge. Mit dem Wechsel zu Beginn des Jahres 2018 zur LG Stadtwerke München und zu Trainer Sebastian Kneifel spezialisierte sie sich auf ihre Lieblingsdisziplin. Der Umzug vom beschaulichen Dorf in Mittelfranken in die bayerische Landeshauptstadt glich einem „Kulturschock“. Doch die Natur im Englischen Garten und der Olympiapark sorgen regelmäßig dafür, dass die Hochspringerin nicht von der Stadt erdrückt wird. Ihre mehr als 2.000 Instagram-Fans nimmt „lilalaug“, wie sie auf der Plattform heißt, regelmäßig mit auf ihre Ausflüge durch die mittlerweile nicht mehr ganz so neue Heimat.
Die leistungsstarke Münchener Trainingsgruppe, zu der unter anderem der frischgekürte Hallen-DM-Silbermedaillengewinner Tobias Potye gehört, ist ein weiteres Puzzlestück ihres Erfolgs auf Bundesebene: „Wir unterstützen uns gegenseitig, wenn es mal nicht so läuft und pushen uns beim Athletik- oder Krafttraining“, beschreibt sie das erstklassige Trainingsklima. Auf den Fall der 800-Meter-Läuferin Mareen Kalis angesprochen, die jüngst im Alter von gerade einmal 22 Jahren ihr Karriereende verkündet hat, gibt Laura Gröll zu Protokoll, dass sie Kalis dafür bewundert, schon in so jungen Jahren genaue Zielvorgaben zu haben und endgültige Weichenstellungen zu treffen. Sie hat Verständnis für ihre Vereinskollegin der LG Stadtwerke München, wenn sie nun den Fokus vor allem auf ihr Studium setzen möchte. Sie selbst hat in den letzten Jahren ihr Leben mehr und mehr auf den Leistungssport ausgerichtet. Sie möchte ihre Grenzen ausloten und sehen, wohin die Reise gehen kann. Dabei schätzt sie ihre Ziele realistisch ein. „Die Olympischen Spiele in Tokio“, sagt sie, „kämen zu früh“. Die Latte für die geforderten 1,96 Meter liegt wahrscheinlich (noch) zu hoch. Ihre Ambitionen sind langfristiger ausgerichtet, zum Beispiel auf die die Heim-EM 2022 in München, bei der sie überaus gerne mitspringen möchte.
Aber schon in diesem Jahr gibt es mit den Europameisterschaften in Paris ein „Traumziel“. Bei 1,90 Meter liegt die geforderte Norm für die diesjährigen Kontinentalmeisterschaften und damit zwei Zentimeter über ihrem persönlichen Rekord, vier Zentimeter über ihrer Saisonbestleistung aus Leipzig. Bis zum Ende des Nominierungszeitraums Mitte August erscheint ihr die Höhe durchaus machbar. Eine EM-Teilnahme ist in diesem Jahr jedoch „kein Muss“, nimmt sie etwas Druck aus dem Kessel. Und ihr großes Ziel, die Olympischen Spiele in Paris, stehen ja auch erst 2024 an. Dennoch: Warum nicht gleich zweimal in die französische Hauptstadt reisen? Gelingt die Teilnahme an einer internationalen Meisterschaft, sei es bei der EM 2020 oder bei Olympia 2024, dürfte es wahrscheinlich wieder Pizza und das ein oder andere Gläschen zum Anstoßen geben.
Beitragsbild: Theo Kiefner