Von einem, der zupackt

In sieben Jahren bei der LG Stadtwerke hat der scheidende Geschäftsführer Christian Gadenne die Geschicke der Münchner und der bayerischen Leichtathletik maßgeblich beeinflusst. Dabei lief vieles ganz anders, als er es zunächst erwartet hatte.

Ein paar leere Bierflaschen treiben wie kleine Boote die Strogen hinab, einen malerischen kleinen Nebenfluss der Sempt im Landkreis Erding. Christian Gadenne hätte gerade etwas Zeit, mehr zumindest als früher, aber als er sie sieht, ist ihm klar, was er und seine Familie nun gleich wieder zu tun haben während ihres Spaziergangs. „Wenn man damit mal angefangen hat, kann man nicht wieder aufhören“, erzählt er.

Eigentlich geht es genau darum in diesem Gespräch: ums Aufhören. Denn Gadenne ist seit Kurzem nicht mehr Geschäftsführer der LG Stadtwerke München, der größten und erfolgreichsten bayerischen Leichtathletik-Gemeinschaft. Zum 1. November ist er ausgeschieden, auf eigenen Wunsch, nachdem er die Münchner Leichtathletik sieben Jahre lang entscheidend mitgestaltet und vorangebracht hat. Es waren kraftzehrende Jahre, die anders liefen, als er sich das damals vorgestellt hatte, und noch, sagt er, sei er gar nicht in der Lage, für sich eine Bilanz zu ziehen. Dem neuen LG-Präsidenten Jochen Schweitzer, der seit Juli im Amt ist, fällt das leichter: „Wir verlieren einen honorigen Mitstreiter für unseren Sport“, lässt er wissen, „einen, der die LG maßgeblich geprägt hat.“

Schon bei den Basketballern des FC Bayern war er einer, der entscheidend mithalf auf dem Weg zum späteren Erfolg

Auch über den Stichtag hinaus hat Gadenne noch zu tun. Inzwischen steht seine Nachfolgerin fest: Julia Riedl, 29, die früher gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Martina für die LG Stadtwerke sprintete. Für Gadenne ist es selbstverständlich, die Nachfolgerin gründlich einzuarbeiten, so wie es für ihn nun selbstverständlich ist, sich um die anlandenden Bierflaschen zu kümmern.

Wegen des vielen Abfalls in der Landschaft hat seine Frau die Initiative „Unfairmüllt“ gegründet. An einem Sommertag sammelten sie hier 180 Kilo Müll auf, nur an diesem Bach. Einen Boxsack habe er schon gefunden, ein verbuddeltes Surfbrett, Reifen, ein ganzes Schlafzimmer. Das alles hat mit der bayerischen Leichtathletik herzlich wenig zu tun, aber irgendwie doch wieder eine Menge. Denn Gadennes zupackende Art war es, die ihm schon zwei solcher Jobs eingebracht hat, in denen er für den Münchner Sport wichtige Weichen stellte.

Den ersten fand er bei den Basketballern des FC Bayern. Eigentlich war er nur zum Zuschauen gekommen, damals, 2004, als Basketball noch eine kleine Nebensparte war im Gebilde des Fußball-Rekordmeisters, gerade vor dem Wiederabstieg in die Regionalliga. Nach Spielende half er spontan beim Abbau. Bald verfasste er Berichte. Wuchs in eine Gruppe aus Leuten hinein, die gestaltete, organisierte und anschob. Und irgendwann, als der Cheftrainer bereits Dirk Bauermann hieß, war Gadenne Medienchef. 2012 hörte er auf, weil sein Gestaltungsspielraum in diesem Großprojekt über die Jahre geschrumpft war.

Bei der LG Stadtwerke wurde das anders. Gadenne, den eine Lehre als Buchhändler und das anschließende Literaturstudium nach München geführte hatten, arbeitete gerade als Qualitätsmanager in der Automobilbranche, als ihn Christopher Franke anrief. Die beiden kannten sich vom Hochschulboxen, und Franke, ehemaliger Sprinter, Doktor der Philosophie und seit einigen Jahren LG-Geschäftsführer, schaffte es, ihm seine Nachfolge schmackhaft zu machen in diesem damals nicht immer ganz friedlichen Verbund aus Münchner Leichtathletik-Abteilungen. „Ich war Quereinsteiger in der Leichtathletik, aber nicht im Sport“, betont Gadenne.

Fünf deutsche Meistertitel in einem Sommer fallen ihm nun ein, jetzt, da er selbst eine Nachfolgerin hat und Bilanz ziehen soll. 2018 war das, in Nürnberg und Rostock. „So etwas fühlt sich schon gut an.“ Oder das Vereinsranking des Deutschen Leichtathletik-Verbands, das alle Plätze jedes Vereins in nationalen Bestenlisten erfasst, einer Wertung, in der die Münchner zwischen 2016 und 2018 dreimal Zweite waren. „Mehr geht nicht“, sagt Gadenne, klammert man Leverkusen mal als Sonderphänomen aus.

Manchmal stand er in seinem Büro, sortierte Trikots nach Größen und zweifelte an seinem Stellenprofil

Als er anfing bei der LG, da hätte es eigentlich um Vermarktung gehen sollen. „Aber ich kann ja erst etwas vermarkten, wenn die Grundlagen passen“, sagt er. Wenn für Athleten Hotelzimmer gebucht sind, Reisekosten abgerechnet, Startgeld überwiesen. Manchmal sei er in seinem Büro gestanden und habe Trikots nach Größen sortiert und an seinem Stellenprofil gezweifelt, aber erst habe der Laden eben laufen müssen, ehe er sich um Sponsoring und PR kümmern konnte. Und damit der Laden lief, musste Gadenne viel mehr umkrempeln als nur Trikots.

Einen Förderverein aus den Anfangsjahren musste er abwickeln, dann jene Sport- und Marketing-GmbH, als deren Geschäftsführer er begann – weil er zur Überzeugung kam, dass sie nicht die „geeignete Organisationsform“ war. Also überzeugte er alle vom Sinn einer Vereinsgründung; transparenter, kostengünstiger sollte es werden. Brauchte Satzung, Förderrichtlinien, Kriterien, mit denen jeder gemäß seiner Leistungen gleich behandelt wurde, um Neid zwischen Mitgliedsvereinen und Trainern zu vermeiden. Bald kam er dann auf die Idee, Kontakt zu suchen zum ehemaligen Stadtwerke-Chef Kurt Mühlhäuser, der das Engagement des Hauptsponsors seinerzeit erst ermöglicht hatte, und der dann nach guten Gesprächen als anpackender, leidenschaftlicher Präsident einstieg, „diplomatisch viel versierter als ich“, wie Gadenne sagt. Und der dann ein umso größeres Loch riss, als ihn eine schwere Erkrankung erst zum Kürzertreten zwang und ihn im April 2020 aus dem Leben riss.

Ihn treibt die Sorge um, dass die EM 2022 zur verpassten Chance werden könnte

Schon ein Jahr zuvor hatte Gadenne Abschiedsgedanken gehegt wegen der Dauerbelastung. „Aber so konnte ich nicht gehen. Ich habe Kurts Frau versprochen, alles in seinem Sinne weiterzuführen“, erzählt er. Dann kam Corona. Lockdown. Rückkehr mit Hygienekonzepten, Kontaktnachverfolgung, ständig neuen Auflagen. Mehr als ein Jahr lang blieb Mühlhäusers Amt vakant. „Alle standen wegen irgendwas bei ihm auf der Matte“, weiß der neue Präsident Schweitzer, vom Jugendtrainer bis zur Olympia-Athletin. Davor soll die Nachfolgerin nun geschützt werden, das neue Organigramm soll die Arbeit auf mehr Schultern verteilen.

Gadenne ist keiner, der wegsieht, wenn es etwas zu tun gibt. Kann schon passieren, dass er beim Strandspaziergang in Kroatien spontan etwas aufräumt und 40 alte Schuhe aus Büschen zieht, die das Meer angeschwemmt hat. Er ärgert sich weiterhin über die Unzulänglichkeiten im Verband, mit denen er zu kämpfen hatte; wo man sich etwa auf lückenhafte alte Rekordlisten stützen muss, weil es mit der Digitalisierung klemmt, oder endlose pdf-Listen wälzt, bis man seine Athleten findet. Oder die Generalsanierung des Dantestadions, aus der dann doch nie etwas wurde, nicht mal jetzt, wo eine EM vor der Haustür steht. Und überhaupt, die EM 2022, von der er fürchtet, dass sie eine verpasste Chance werden wird: „Es ist das wichtigste Ereignis für die bayerische Leichtathletik seit Jahrzehnten“, weiß er. Doch die Münchner LG hätten die Organisatoren bis heute kaum einbezogen. Solche Dinge schmerzen ihn. Er hätte gerne noch viel mehr vorangebracht.

Was er künftig macht, weiß Gadenne nicht, noch beschäftige ihn das alles. Die meisten Flaschen hat er erwischt, nicht alle, „weil der Kescher zu kurz war“. Aber er wird dranbleiben. Und dann wird er sich mal ein paar Tage oder Wochen selbst etwas treiben lassen, gespannt darauf, wo er wohl landen wird.

Text: Andreas Liebmann, SZ München

Bild: LG Stadtwerke / oh